Rede von Susanne Kudies

Sehr geehrte Damen und Herren,

Niemand, der nicht dabei war, als die rote Armee am 27.Januar 1945 das KZ Ausschwitz-Birkenau befreite kann sich annähernd vorstellen, welches grauenvolle Bild sich den Soldaten vor Ort bot und für immer ins Gedächtnis einbrennen sollte. Das Unheil, dass die Nazis in der Zeit von 1933 bis zum Ende des Weltkrieges über das jüdische Volk gebracht haben, wird für immer ein Schandfleck in unserer Geschichte bleiben. Das darf weder vergessen, noch klein geredet werden. Aber heute möchte ich in meiner Rede über die Überlebenden sprechen, denn es gibt nur noch wenige von ihnen, die noch unter uns sind und uns mit ihren eindrucksvollen Schilderungen helfen können, zu verstehen was damals wirklich passiert ist und was man ihnen angetan hat. Unter dem #rememberme erzählen sie uns heute ihre Geschichte. Sie sprechen von der ,Shoah‘ – und hoffen dass ihre Geschichten dazu beitragen können dass wir ihr Schicksal zum Anlass nehmen, alles dazu zu tun das NIE WIEDER ist jetzt wahr wird in Deutschland.

Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland,die am 23. Mai 1949 in Kraft trat, sollte sie die neue und junge Demokratie auf sichere Beine stellen. Unsere Verfassung schützt die die Würde des Menschen, die unantastbar ist. Sie regelt noch vieles andere mehr, auf das die Nazis nichts gaben. Demokratie und ihre Grundwerte sind aber nicht in Stein gemeisselt. Die Verfassung eines Volkes muss gelebt werden!

Zurueck zu den Ueberlebenden: Einige derer, die das Glueck hatten,die Shoahzu ueberleben, kamen nach dem Krieg nach Deutschland, um hier, insbesondere, in Frankfurt ,um dort eine neue Heimat zu finden,denn ihre Heimat gab es nicht mehr! Auch in Polen und Russland waren sie unerwünscht und Schikanen ausgesetzt! Doch auch in Deutschland war es nicht leicht, auch hier trafen Sie auf auf Hass und Intoleranz! So sassen sie lange auf gepackten Koffern, erzählt Fiszel Ajnwojner. Der langjährige Gemeindevorstand der Frankfurter Gemeinde ist Kind polnischer Juden. Ajnwojners Eltern aus dem Südosten Polens war kurz nach Kriegsbeginn 1939 die Flucht in die Sowjetunion gelungen, wie er erzählt. Sie überlebten mehrere Konzentrations- und Arbeitslager, zuletzt in Kasachstan. Sein Vater sei der einzige Überlebende seiner Familie gewesen, sagt Ajnwojner. »Hingegen hatten einige Familienmitglieder meiner Mutter mehr Glück.«

„Es dauerte lange, bis sie hier für sich eine Heimat gefunden hatten. Dass sie überhaupt blieben, war vor Allem aufgrund des neuen Grundgesetzes: „Das Grundgesetz als solches war meinen Eltern en detail nicht bekannt. Aber sie merkten sehr schnell, dass dies ein anderes Deutschland, eine freiheitliche Demokratie mit einer entsprechenden Rechtsprechung war«, betont er. Über allem jedoch habe der Schutz, die Garantie der Alliierten gestanden. »Meine Eltern fühlten sich zum ersten Mal in ihrem Leben frei und beschützt. Hätte es damals nicht die neue Verfassung, das Grundgesetz gegeben, wären sie auf keinen Fall hier geblieben.«

Unter den Shoah-Überlebenden, die nach Frankfurt/Main in die orthodoxe Gemeinde im Westend kamen, ware auch einige die es mit viel Glück auf Schindler’s Liste geschafft zu haben. Die sogenannten ,Schindlerjuden‘.

Die Person des Oskar Schindler wurde in Deutschland leider erst durch den Kinoerfolg von Schindler’s Liste wirklich bekannt. Regisseur Steven Spielberg erzählt in dem vielfach ausgezeichneten Film die wahre Geschichte des Unternehmers Oskar Schindler (1908-1974), der mehr als 1100 Juden vor dem sicheren Tod durch die Nazis rettete. Ein Shoah-Überlebender aus Frankfurt schildert seine Eindrücke über den Film: „“Als kommerzieller Film ist er brillant. Ein Hollywood-Meisterwerk. Als Dokumentation ist er aber eher nicht zu gebrauchen.” Der Film unterschlage unter anderem, welch wichtige Rolle Schindlers Frau Emilie gespielt habe. “Sie versorgte uns mit Essen. Ihr Mann war der Prinz, der sich nicht um solche Kleinigkeiten kümmerte. Sie aber schmuggelte auch die Brillanten nach Berlin, um die ‘Schindler­Jüdinnen’, die nach Auschwitz deportiert wurden, zurückzuholen.” Über Oskar Schindler sagt er: „”Er war ein guter Mensch – Privat aber war er auch ein Schuft. Alkohol, Frauen, Geld. Diese drei Dinge waren ihm wichtig.” Schindler war ein Geschäftsmann, der Hennessy-Cognac, englische Zigaretten und alle hübschen Frauen liebte, die ihm begegneten. Er sei auch deswegen gut zu “seinen” Juden gewesen, weil er reich mit ihnen geworden sei, Er war durchaus zunächst auf seinen Vorteil bedacht….”Der liebe Schindler trug das blutrote Parteiabzeichen der NSDAP, das dürfen Sie nicht vergessen! –

Doch der Lebemann im Maßanzug samt Seidenhemd hatte sich verändert: Oskar Schindler sagte nach dem Krieg in einem Interview mit einem bekannten deutschen Magazin, dass er sich in dem Moment entschlossen hatte zu helfen, als er nach einem Aufenthalt in der Heimat, zurück nach Warschau kam, rechtzeitig genug um mitzuerleben, wie die SS und die Wehrmacht das Warschauer Gettho räumten und alle, die nicht zu schwach und zu krank waren und laufen konnten, in die Züge trieb, die dann Richtung Ausschwitz fuhren. Er wurde Zeuge des brutalen und grausamen Vorgehens der Deutschen. Das menschenunwürdige Verhalten gegenüber Alten, Kranken und Behinderten, die einfach vor Ort auf der Straße durch Gewehrschuss getötet und einfach liegengelassen wurden, veranlasste ihn, seine durch Nazipropaganda gefärbte Einstellung gegenüber den Juden zu ändern. Da wurde ihm klar, dass er helfen musste. Er sagte damals: Wenn Du weißt, dass Du helfen kannst, zögere keine Minute, steh auf und tue es!“

Er handelte und nutzte seine Kontakte zu den Nationalsozialisten um Listen mit arbeitsfähigen Juden zu erstellen, die er dann kaufte – nicht länger, um sie als Arbeitssklaven auszubeuten. Er kaufte sie, um sie zu retten. Aber nicht nur die arbeitsfähigen, auch Alte, Kranke, Kinder – alle, die er bekommen konnte. Mit Hilfe einiger weniger Vertrauter, seiner Frau und Itzhak Stern, der akribisch die Listen tippte, die Schindler in Ausschwitz dem Lagerkommandanten Amon Göth vorlegte. Nur weil Göth hier die Möglichkeit sah, sich selbst damit einen finanziellen Vorteil zu erschaffen, war dies überhaupt möglich. Die Liste mit den Namen der Juden, die in das KZ-Außenlager Brünnlitz verlegt werden durften, wo Oskar Schindler eine Außenstelle seines Rüstungsbetriebes gegründet hatte, wurde bekannt als Schindler’s Liste. Er nannte die dort arbeitenden Juden, immer gerne liebevoll ,meine Juden’! Daraus entstand später der Begriff Schindlerjuden; eine Bezeichnung, die auf die Verwendung durch die dadurch Geretteten selbst zurückgeht.

Oskar Schindler wurde nach dem Krieg in der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem zum Gerechten unter den Völkern ernannt. Noch heute ist er für die Nachfahren der Schindlerjuden ein Held, der sein eigenes Leben riskierte, um möglichst viele ihrer Eltern, Großeltern, Verwandten und Freunde aus der Hölle der Konzentrationslager zu befreien. Doch in Deutschland war Oskar Schindler nach dem Krieg den meisten Menschen völlig unbekannt. Der Spiegel schilderte die Situation wie folgt:

Der Held lebte in Appartement 63 im sechsten Stock. Von 1965 bis zu seinem Tod 1974 war er hier gemeldet, “Am Hauptbahnhof 4” in Frankfurt. Vor Dönerläden setzen sich Süchtige ihren Schuss, Frauen verkaufen ihre Körper, Trambahnen kreischen, Reisende strömen in den Bahnhof. Kaum einer ahnt, wer hier einst gegenüber den Gleisen gewohnt hat.An den Mann, den die ganze Welt heute bewundert, der sein Leben riskierte für das Leben von 1200 Juden, erinnert nur ein von Abgasen geschwärztes Messingrelief an der Hauswand. Das Porträt zeigt Oskar Schindler kurz vor seinem Tod. Manchmal öffnet sich die Tür von Haus Nummer 4 und Menschen mit Tüten voll leerer Flaschen treten heraus. Aus dem Treppenhaus weht ein stickiger Geruch. Und Verlorenheit.

Verloren !- dieses Schicksal teilte er mit seinen Schindlerjuden am Ende des Krieges. Da war aus dem Geschäftsmann ein Sozialfall geworden – aber er hatte kein Recht auf Soziallleistungen. Das Leben nach dem Krieg war ein völlig Anderes. Oskar Schindler war mental gesehen nie in dieser Bundesrepublik angekommen.

In Israel verehrt, in Deutschland verachtet! Das war die Situation für ihn in seiner neuen Heimat Frankfurt. Er war dorthin gekommen, weil er nun auf die Hilfe seiner Schindler-Juden hoffte und auch angewiesen war. Natürlich bekam er sie. Zuerst hatte er ihnen geholfen und jetzt halfen sie ihm. Aus Dankbarkeit teilten sie mit ihm was sie hatten. Aber das war nicht viel. Viele von ihnen waren von einer Odyssee durch ganz Europa eben erst in Frankfurt angekommen und versuchten nun dort eine Existenz aufzubauen. Eine der Familien, in denen Oskar Schindler Zeit seines Lebens immer noch ein gern gesehener Gast war, war die Familie Friedman.

Michel Friedmans Eltern standen auf Schindlers Liste und überlebten deshalb den Holocaust. Heute, so der Jurist, Politiker, Publizist und Philosoph, brauche Deutschland mehr “Schindler-Haltung”. Er fordert uns alle auf: „Sie sollten sich die Worte Oskar Schindler’s über das Helfen zu Herzen nehmen und helfen, wenn Sie helfen können!“ Helfen bedeutet Solidarität und Anerkennung zeigen und Menschenliebe ausüben!“ sagt Michel Friedman. Friedman findet, dass die Haltung Schindlers auch heute in Deutschland noch Vorbildcharakter habe; er sagt: Das Wichtigste, was ich von ihm gelernt habe, ist: “Es gibt keine Entschuldigung, nicht zu handeln, sich nicht einzumischen!

Am 27.Januar jaehrt sich nun der Jahrestag der Befreiung zum 80.Mal! – Und heute ist es nötiger denn jetzt, sich einzumischen und einzugreifen gegen Hatespeech, Intoleranz,Antisemitismus, Judenhass! -Damit sich auch die Soehne,Toechter und Enkel der Shoah-Ueberlebenden in Deutschland sicher fuehlen- und nicht fremd im eigenen Land!

Für Überlebende der Shoah war danach nichts mehr so wie es war! Ihr altes Leben gab es nicht mehr! Sie hatten Eltern, Freunde und Verwandte verloren und standen nun in einem neuen fremden Land, neue Sprache anderere Kultur- Nichts war einfach eine neue Sprache lernen und Behördengänge,den Einkauf erledigen,Arbeit finden! – Häufig waren es ihre Kinder, die jetzt Verantwortung übernehmen und ihren Eltern helfen mussten. Eltern, die sich in diesem Leben verloren fühlten und oft noch mit den psychischen und seelischen Verletzungen zu kämpfen hatten, die Ihnen die Erlebnisse während der Shoah zugefügt hatten. So wurden die Kinder zu ,Eltern ihrer Eltern’, Um die Situation eines der ,Elternkinder‘ zu verdeutlichen, lese ich ein Kapitel aus dem Buch ,Fremd’ von Michel Friedman. Er schreibt dort über sein Leben als Kind mit seinen Eltern und über seine Begegnung mit Oskar Schindler:

4. Februar 2025