Rede von ai-Mitglied Manfred Kirsch

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,

heute vor 79 Jahren befreite die 322. Infanteriedivision der 60. Armee der ersten Ukrainischen Front das KZ Auschwitz- Birkenau. Damals bot sich den Soldaten ein grauenhaftes Bild des Schreckens, ein Bild, das zu beschreiben sich nur so zusammenfassen lässt: Gequälte, Leidende und Getötete, die nur deshalb leiden mussten, weil sie entweder jüdischen Glaubens waren, weil sie Sinti oder Roma waren, überzeugte Christen waren oder politisch Andersdenkende waren. Heute, 79 Jahre nachdem das KZ Auschwitz Birkenau befreit wurde, müssen wir leider feststellen, dass unsere Demokratie, die leider keine Selbstverständlichkeit ist, wieder aktiv geschützt werden muss. Denn die Rechtsradikalen und Rechtsextremisten sind munter dabei, diesen demokratischen Staat von innen und außen auszuhöhlen.

Da werden in einer Potsdamer Villa Deportationsphantasien geschmiedet und Aussagen wie “Deutschland den Deutschen” in einer Diskothek in Bayern skandiert und es werden Menschen, die zu Minderheiten gehören, diskriminiert und die Würde des Menschen seitens einer bestimmten Partei, die im Bundestag vertreten ist und gerade in ostdeutschen Bundesländern nach der Macht greift, ganz offen und unverschämt in Frage gestellt. Das, was in Potsdam und anderswo geschehen ist, erinnert an das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte, nämlich die Nazi-Tyrannei. Nie, meine Damen und Herren, war die Demokratie so bedroht wie heute und es wird immer deutlicher, dass das Postulat, der Grundkonsens nach dem Zusammenbruch des Faschismus, “nie wieder” gerade jetzt ist. Wir sind alle dazu aufgerufen, auch in den demokratischen Parteien, der Zivilgesellschaft, den Gewerkschaften und den Kirchen, Widerstand zu leisten gegen jene Kräfte von rechts, denen der Rechtsstaat ein Dorn im Auge ist. Die Zahl der antisemitischen und rassistischen Übergriffe nimmt erschreckend zu und bei den Wahlen feiern Rechtsradikale fröhliche Urständ. Der ehemalige Bundesverfassungsrichter Voßkuhle warnt sogar davor, dass die Demokratie, in der meine Generation, ich bin Jahrgang 1955 geboren, nur eine kurze Phase der Geschichte sei. Nun, ich bekenne mich zu dieser Demokratie, und weiß, dass sie tatsächlich täglich neu erkämpft werden muss.

Doch die Demonstrationen dieser Tage in vielen Städten und Gemeinden dieses Landes machen Hoffnung, dass immer mehr Menschen wach geworden sind und sehen, wie wichtig das Engagement für die Demokratie ist, und ich hoffe, dass es in der Bundesrepublik Deutschland zu einer echten Bürgerbewegung gegen rechts kommt. Die Demokratie, in der wir heute leben, wurde uns von den Westalliierten geschenkt und wir müssen Vorsicht walten lassen, dass sie nicht auf dem Altar des Rechtsextremismus und des Populismus geopfert und uns wieder entrissen wird. Ich betrachte es als Christenpflicht, offensiv aufzustehen gegen rechts und zu verhindern, dass sie von unverantwortlichen Politikerinnen und Politikern aus der rechten Ecke zerstört und geopfert wird. Ich könnte jedenfalls nicht in einem autoritären Staat leben, in dem Minderheiten gleich welcher Art, diskriminiert werden. Es wäre für mich unerträglich und ich denke so geht es Vielen von Ihnen auch heute, wenn ich meine Meinung nicht mehr offen sagen dürfte und deshalb bitte ich Sie alle darum, den Widerstand gegen den Rechtsruck in dieser Gesellschaft zu organisieren und mitzutragen. Ich sagte ja bereits, dass ich, aus dem Jahre 1955 kommend, als junger Mensch die Hoffnung hatte, dass alles freier, friedlicher, unter dem Strich besser würde und dass es nicht mehr notwendig werden würde, diese Demokratie vor ihren Feinden zu beschützen, wie wir es heute wieder verstärkt tun müssen. Lassen Sie uns daher alle zusammenstehen im Kampf gegen die rechte Gefahr und lassen wir nicht zu, dass Faschisten wie Björn Hocke hierzulande wieder mehrheitsfähig werden. Wir haben bereits 5 Minuten nach 12. 

Pfarrer Wilfried Neusel wird jetzt gleich in einer Ansprache noch verschiedene Aspekte, und zwar historisch wie aktuell, vortragen und ich danke Ihnen für ihre Aufmerksamkeit.

29. Januar 2024