Vortrag von Manfred Kirsch zum Holocoust-Gedenktag 2020

Liebe Freundinnen und Freunde, sehr geehrte Damen und Herren,

morgen vor 75 Jahren, am 27. Januar 1945, wurden die Überlebenden des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau durch sowjetische Soldaten befreit. Die sowjetischen Soldaten wurden mit einem grauenhaften und unfassbaren Bild des Schreckens konfrontiert. Es war das Ergebnis des größten Menschheitsverbrechens und einer ungeheuerlichen Menschenverachtung überhaupt.

Das Konzentrationslager Auschwitz steht symbolisch für den Völkermord, die Vernichtungsmaschinerie und die Millionen Opfer der Nazityrannei und für die große, niemals wieder gut zu machende deutsche Schuld. Wie in jedem Jahr erinnert auch unser heutiges Gedenken aus Anlass des Holocaustgedenktages an die Opfer des Nationalsozialismus, an die Toten und Gefangenen des beispiellosen totalitären und verbrecherischen Regimes in den Jahren 1933 bis 1945. Juden, Christen, Sinti und Roma, Behinderte, Homosexuelle, Kommunisten, Sozialdemokraten und allen politisch Andersdenkenden sowie Frauen und Männern des Widerstands und allen anderen Menschen, die unter der beispiellosen Brutalität und Unmenschlichkeit des deutschen Naziregimes litten und gequält und ermordet wurden, gilt auch in diesem Jahr wieder unser mahnendes Gedenken. Der 27. Januar, an dem das KZ Auschwitz-Birkenau im Jahre 1945 durch die Rote Armee befreit wurde, ist in der Bundesrepublik seit 1996 ein bundesweiter, gesetzlich verankerter Gedenktag. Wenn wir diesen Gedenktag heute wieder begehen, müssen wir uns, wie in den letzten Jahren leider schon zur Regel geworden, mit den Verbrechen des Rechtsextremismus heute in dieser Gesellschaft auseinandersetzen. So müssen wir heute feststellen und beklagen, dass Rechtsradikale als drittstärkste Partei in das Parlament gewählt wurden und somit der Rechtsradikalismus über einen parlamentarischen Arm in Deutschland verfügt. Der braune Ungeist ist inzwischen in allen Länderparlamenten vertreten. Gerade das Jahr 2019 hat immer wieder Schlagzeilen produziert, was die Zunahme rassistischer, antisemitischer und rechtsextremer Straftaten deutlich belegt.

Der immer weiter zunehmende gewaltsame Rechtsextremismus erfuhr zum einen einen traurigen Höhepunkt, als der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke am 2. Juni 2019 ermordet wurde und zum anderen durch den mörderischen Anschlag am 9. Oktober 2019 auf die Synagoge in Halle am Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag. Nicht auszudenken wäre es, wenn die in der Synagoge betenden Menschen noch von dem Terror physisch betroffen gewesen wären. Erst vor wenigen Tagen war das Wahlkreisbüro des SPD-Bundestagsabgeordneten Karamba Diaby Ziel von Schüssen brauner Demokratiefeinde. Neonazis schrieben dem Grünen-Politiker Cem Özdemir Drohmails. Auch Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth erhielt von der “Atomwaffen Division Deutschland” Morddrohungen. Gleichzeitig muss registriert werden, dass immer mehr Kommunalpolitiker und ehrenamtlich Engagierte sich zurückziehen, weil sie gewalttätige Übergriffe durch Rechtsradikale befürchten müssen und der rechte Terrorismus sich hierzulande immer mehr verschärft. Insgesamt ist in der Bundesrepublik, und das belegen auch alle Statistiken, eine exorbitante Zunahme rechter Straftaten zu beobachten, und der braune Mob macht Jagd auf Menschen, während der seinerzeitige Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen nichts Besseres zu tun hatte als die rechtsradikalen Verbrechen zu verharmlosen und Rechtspopulisten Ratschläge zu geben.

Ich habe im vergangenen Jahr schon darauf hingewiesen, dass es keine Veranlassung gibt, mit dem Finger auf den Osten zu zeigen, denn auch im Westen und in unserer Region werden Hass und Unmenschlichkeit durch die Rechten tagtäglich praktiziert. So wurden nach dem Attentat auf Walter Lübcke auch viele politisch Engagierte aus Neuwied zum Opfer von Morddrohungen. Insgesamt muss konstatiert werden, dass sehr viele in diesem Land der Täter nichts, aber auch rein garnichts gelernt haben, sondern im Gegenteil die alten Schreckensszenarien zurückkehren. Solange jüdische Gotteshäuser und andere jüdische Einrichtungen wie Friedhöfe vor den Untaten der Nazis nicht sicher sind, bleibt der Makel der braunen Gesinnung und Handlungsweise wie ein Kainsmal auf Deutschland liegen.

Es darf nicht bei Sonntagsreden gegen Rechts bleiben, sondern der Aufstand der Anständigen, von denen der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder Anfang dieses Jahrtausends sprach, muss endlich Wirklichkeit werden. Der Kampf gegen die Braunen muss zur Staatsräson der Bundesrepublik werden. Genauso wie das immerwährende Bekenntnis zu der Tatsache, dass das Existenzrecht Israels für Demokraten niemals verhandelbar sei. Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen. Amnesty International arbeitet auf der Grundlage der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die am 10. Dezember 1948 aus der Erfahrung des Holocaust durch die Vereinten Nationen beschlossen wurde. Die Menschenrechte, die auch im Grundrechtskatalog des Grundgesetzes manifestiert sind, sind die Antwort auf die Schrecken der Nazidiktatur. Wir dürfen nicht zulassen – und leider muss man dies in diesen Zeiten stärker denn je bekräftigen – dass Menschenrechte und Humanität und insbesondere die Würde des Menschen jemals zur Disposition gestellt werden. Wer morgen noch in Frieden leben will, der muss heute den politischen Kampf gegen Rechts aufnehmen. Dieses Postulat lege ich uns allen ans Herz.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

15. Februar 2020